Regulationsstörungen bei Säuglingen lindern Diese Behandlungen helfen – oder eben nicht
Die Ursachen der sogenannten „Säuglingskoliken“ sind vielfältig und nicht eindeutig erforscht. Viele Studien widmen sich weiterhin potentiellen Auslösern und Behandlungsmöglichkeiten der oft harmlosen, aber für Kinder und Eltern sehr belastenden, Regulationsstörungen. Im heutigen Blogbeitrag stellen wir euch Erkenntnisse aktueller Studien vor.
Reminder: Was sind Regulationsstörungen?
Zur Definition und möglichen Ursachen von Regulationsstörungen schaut gerne noch einmal in unseren Blogbeitrag „Alles nur eine Phase!“.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Wenn man sich über Behandlungsmöglichkeiten bei „Säuglingskoliken“ informiert, stößt man auf die verschiedensten Tipps: Von Akupunktur über Kräutertee zu speziellen Anti-Kolik-Trinkflaschen – die Auswahl ist groß. Was hilft den Kindern nun wirklich?
Was ist eine Kolik? Warum ist der Begriff Drei-Monats-Kolik veraltet?
Ernährung
Der lang gehegte Mythos, dass das vermehrte Schreien von Säuglingen immer auf Bauchschmerzen zurückzuführen ist, hat sich nicht bestätigt. Dennoch können Regulationsstörungen in Einzelfällen durchaus von Verdauungsbeschwerden ausgelöst werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, bei betroffenen Säuglingen die Ernährung genauer zu betrachten: Regelmäßigkeit und eine ruhige Umgebung für die Still- oder Flaschenmahlzeiten sind besonders wichtig. Eine Stillberaterin oder Hebamme kann zusätzlich beurteilen, ob das Kind beim Trinken vielleicht besonders viel Luft schluckt und dadurch unter Bähungen und Bauchschmerzen leidet. Ein sogenannter „Anti-Kolik-Sauger“ kann in diesen Fällen helfen: Er sorgt mithilfe eines speziellen Ventils dafür, dass die Säuglinge während des Schluckens nicht absetzen müssen.
Bei bereits mit Flaschennahrung (sog. Formula) ernährten Säuglingen kann außerdem eine Umstellung auf hypoallergene Milchersatzprodukte versucht werden. Im Falle einer Kuhmilcheiweißallergie oder Laktoseintoleranz kann diese hydrolysierte Säuglingsnahrung das Unwohlsein der Kinder mildern. Bei gestillten Kindern können Nahrungsmittelunverträglichkeiten auch durch Nahrungsbestandteile in der Muttermilch ausgelöst werden. Eine mütterliche Diät zur Vermeidung der häufigsten Allergene (wie z.B. Milchprodukte, Eier, Nüsse, Sojaprodukte) kann hier Aufschluss bringen. Eine Nahrungsumstellung ist allerdings für viele Stillende mit erheblichem Stress verbunden.
Eltern-Kind-Interaktion
Kindliche Regulationsstörungen können die Eltern-Kind-Beziehung erheblich belasten: Schlaflose Nächte, Sorgen um das Wohlbefinden des Kindes, große Unruhe… Gleichzeitig kann eine belastete Eltern-Kind-Beziehung die Regulationsstörung weiterhin verstärken – es entsteht ein Teufelskreis. Wie können betroffene Familien unterstützt werden?
In vielen Städten können zusätzliche Hilfsangebote wie Familienhebammen oder Schrei- und Stillberatungen in Anspruch genommen werden. Kinderärzte können diese vermitteln und die Eltern zusätzlich über empfohlene Verhaltensweisen aufklären. So schwer es betroffenen Familien auch fällt, ist es sehr wichtig, ruhige Abläufe zu wahren und die Säuglinge niemals zu schütteln. Forschungsergebnisse zeigen, dass viel Haut- und Körperkontakt mit dem Kind (z.B. auch in Form einer Babymassage) positiv zur Eltern-Kind-Interaktion beiträgt und die Dauer des Schreiens verringern kann.
Probiotika
Die Ergebnisse mehrerer Studien lassen einen positiven Effekt von sogenannten Probiotika (z.B. Lactobacillus reuteri) auf gestillte Kinder mit „Säuglingskoliken“ vermuten: Im Vergleich zu Placebo-Gruppen (keine Wirkstoff-Behandlung) schreien gestillte Säuglinge nach der Anwendung von Probiotika messbar weniger. Die Wirkung ist vermutlich auf eine Stabilisierung des kindlichen Mikrobioms zurückzuführen. Gasproduzierende Bakterien können ihre Wirkung dadurch weniger entfalten und entzündungshemmende Effekte werden gestärkt. Bei nicht-gestillten Säuglingen ließ sich die positive Wirkung von Probiotika bisher nicht eindeutig nachweisen. Durch die Anwendung von Probiotika sind jedoch in der Regel auch keine negativen Wirkungen zu erwarten.
Simeticon
Der Wirkstoff Simeticon kann Gasbildung im Verdauungssystem verringern und kommt zum Beispiel bei Blähungen zum Einsatz. Die Anwendung von Simeticon (u.a. bekannt unter dem Handelsnamen sab simplex®) bei Säuglingen mit Regulationsstörungen ist jedoch umstritten: Werden die Regulationsstörungen durch viel Luft im Bauch ausgelöst oder verstärkt, so kann Simeticon als Ergänzung zu den anderen erwähnten Behandlungen die Beschwerden möglicherweise mildern – Studien konnten die Wirkung bisher jedoch nicht nachweisen.
Fazit
Die meisten Fälle von Regulationsstörungen im Säuglingsalter sind „selbstlimitierend“. Das heißt, dass das vermehrte Schreien bei den meisten Kindern üblicherweise nach den ersten 3 Lebensmonaten deutlich abnimmt – auch, wenn keine Behandlung erfolgt. Ein „Allheilmittel“ gibt es nicht. Je nachdem, was hinter den „Säuglingskoliken“ steckt, können jedoch Ernährungsanpassungen oder Probiotika die Beschwerden mildern.
Die wichtigsten Elemente im Umgang mit betroffenen Familien sind:
- eine ausführliche Aufklärung über mögliche Ursachen und förderliche Verhaltensweisen bei Regulationsstörungen
- eine kinderärztliche Untersuchung bei gewissen Alarmsignalen (wie z.B. Fieber oder Stuhlgangveränderungen) um körperliche Ursachen auszuschließen
- emotionale und soziale Unterstützung der Familie, um die Eltern-Kind-Beziehung zu fördern.
Quellen:
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