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Das Grenzsteinkonzept

Meilenstein? – Grenzstein! Das Grenzsteinkonzept der kindlichen Entwicklung erklärt.

„Ah, sie spricht wohl noch nicht so viel?!“ – „Oh, läuft er denn noch nicht?!“

Viele Eltern können bestätigen, dass die sogenannten „Meilensteine der kindlichen Entwicklung“ das ein oder andere Druckgefühl auslösen können. Dabei bilden schnell gezogene Vergleiche zwischen verschiedenen Kindern und die pauschale Aussage über ein vermutetes „zu spät“ eines Entwicklungsschrittes die neuesten Erkenntnisse über die kindliche Entwicklung keineswegs ab. Wir geben euch einen Überblick über die bekanntesten Entwicklungskonzepte.

Die kindliche Entwicklung ist vielfältig

Den Entwicklungsstand eines Kindes zu beurteilen, gehört zu den wichtigsten und gleichzeitig schwierigsten Aufgaben von Kinderärztinnen und -ärzten. Im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen werden – wie im gelben Untersuchungsheft teilweise auch aufgelistet – bestimmte Fähigkeiten der Kinder entweder vor Ort in der Praxis getestet oder anhand eurer Erfahrungswerte mit eurem Kind indirekt ermittelt. Je nach dem Alter der Kinder werden dabei zum Beispiel motorische (Bewegung, z.B. Krabbeln, freies Sitzen, freies Laufen), sprachliche und sozioemotionale (z.B. sich im Spiegel erkennen, Referenzieren) Fähigkeiten abgefragt.

Was sind Meilen- und Grenzsteine?

Die Einschätzung, in welchem Lebensalter Kinder diese Fähigkeiten in der Regel entwickeln, beruht auf Beobachtungen und Dokumentationen von Entwicklungspsycholog*innen und Kinderärzt*innen seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Bereits damals ließen sich wesentliche Schritte der Entwicklung identifizieren, die viele Kinder in einem ähnlichen Alter durchlaufen – es entstand das sogenannte Meilensteinkonzept. Ein Meilenstein wird darin definiert als der Zeitpunkt, an dem die Hälfte (50%) aller Kinder in der jeweiligen kulturellen Vergleichsgruppe den Entwicklungsschritt im Durchschnitt erreichen. Das Konzept ging traditionell davon aus, dass Kindern, die die Meilensteine rechtzeitig erreichen, eine „normale“ Entwicklung zugeschrieben werden kann und dass die Meilensteine immer in der gleichen Reihenfolge streng aufeinander folgen.

Die Realität zeigt jedoch, dass die kindliche Entwicklung von Kind zu Kind sehr unterschiedlich ist und letztendlich als Reaktion auf die Umwelteinflüsse und Lebensbedingungen des Kindes, sowie des familiären emotionalen Gefüges beschrieben werden kann. Zusätzlich wird die individuelle Entwicklung durch Vererbung geprägt. Aus diesem Grund hat sich in den letzten Jahren ein zweites Entwicklungskonzept durchgesetzt, welches von Kinderärzt*innen und Entwicklungsexpert*innen für die Anwendung in der Praxis empfohlen wird: das Grenzsteinkonzept. Die Definition von Grenzsteinen ist der der Meilensteine ähnlich – ein Grenzstein beschreibt jedoch den Zeitpunkt, an dem 90 bis 95% aller Kinder in der jeweiligen kulturellen Vergleichsgruppe einen Entwicklungsschritt im Durchschnitt erreichen. Das Konzept würdigt somit die Individualität und Vielfalt der kindlichen Entwicklung deutlich mehr.

Wie unterschiedlich die Zeiträume für das Erreichen von Meilen- und Grenzsteinen sind, zeigt die folgende Abbildung anhand der wichtigsten motorischen Entwicklungsschritte:

Abbildung: Meilen- und Grenzsteine der Grobmotorik im Alter zwischen 4 und 18 Monaten. (aus Jenni, 2022, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de )

Das Grenzsteinprinzip als Frühwarnsystem

Ein „pünktliches“ Erreichen der Grenzsteine sorgt also dafür, dass die weitere Entwicklung des Kindes „ungestört“ fortlaufen kann – das Kind besitzt dann die motorischen, sprachlichen, sozioemotionalen und kognitiven Werkzeuge, um die Welt weiter zu entdecken, zu verstehen und sich darin weiterzuentwickeln. Was passiert nun aber, wenn ein Kind einen Entwicklungsgrenzstein nicht rechtzeitig erreicht? In diesem Fall wird dem Kind noch keine Entwicklungsstörung zugeschrieben. Kinder, die in einer Vorsorgeuntersuchung einen Grenzstein nicht erreichen, sollten in der Regel nach ca. 8 Wochen erneut auf diesen Grenzstein untersucht werden. Ist er dann weiterhin nicht erreicht, so sollte eine weitere kinderärztliche Untersuchung erfolgen. Auf diese Weise kann zwischen einer „noch normalen“ und einer möglicherweise verzögerten Entwicklung unterschieden und die weitere Entwicklung gezielt gefördert werden.

Quellen:

Jenni, O. Meilen- und Grenzsteine der Entwicklung. Monatsschr Kinderheilkd 170, 651–662 (2022). https://doi.org/10.1007/s00112-022-01547-z

Macha, Petermann. Grenzsteine der Entwicklung. Pädiatrie, 02/2015. https://www.springermedizin.de/grenzsteine-der-entwicklung/9309600?fulltextView=true&doi=10.1007%2Fs15014-015-0345-8

 

Dr. Michael Dördelmann
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